40 Jahre "Birdy" in Cannes
Am 20. Mai 1985 gewann "Birdy" den Großen Preis der Jury in Cannes. Zum Jubiläum erinnern wir an einen Anti-Kriegsfilm, der ohne Peter Gabriels Soundtrack nie diese Kraft entfaltet hätte.
Am 20. Mai 1985 gewann "Birdy" den Großen Preis der Jury in Cannes. Zum Jubiläum erinnern wir an einen Anti-Kriegsfilm, der ohne Peter Gabriels Soundtrack nie diese Kraft entfaltet hätte.
Ein eigenes Radio für den coolen Sound der 80er – Abseits vom Mainstream. Mit Madness, The Cure, Talking Heads, The Jeremy Days und vielen mehr.
Am 20. Mai 1985 wird im Grand Théâtre Lumière in Cannes ein Film ausgezeichnet, der in keiner Weise dem üblichen Glanz des Festivals entspricht – und gerade deshalb prämiert wird: "Birdy" erhält den Großen Preis der Jury. Es ist die stille Geschichte zweier Vietnam-Veteranen, voller Trauma, Zärtlichkeit und Freundschaft – und mit einem Soundtrack, der mehr sagt als viele Worte. Dass die Musik von Peter Gabriel stammt, war mehr als ein stilistischer Glücksgriff: Sie wird zur zweiten Erzählstimme des Films.
Zwei Freunde, Al und Birdy, kehren aus dem Vietnamkrieg zurück – der eine körperlich schwer verletzt, der andere seelisch gebrochen. Birdy, einst ein stiller Außenseiter mit einer Obsession für Vögel und das Fliegen, sitzt nackt und verstummt in einer Zelle einer Militärpsychiatrie. Sein Jugendfreund Al soll ihm helfen, zur Realität zurückzufinden. Was folgt, ist ein filmisches Wechselspiel zwischen Rückblenden in die Jugend der beiden in den Arbeitervierteln von Philadelphia und der klaustrophobischen Gegenwart der Klinik.
Die Rollen sind herausragend besetzt: Matthew Modine spielt den psychisch entgleitenden Birdy mit feinnerviger Körperlichkeit, teils komplett nackt, schutzlos, kindlich – und doch voller innerer Komplexität. Ursprünglich hatte Matthew Modine sogar für die Rolle des Al vorgesprochen, doch Regisseur Alan Parker sah in ihm die verletzliche Tiefe, die Birdy braucht. Nicolas Cage, damals erst Anfang 20, liefert als Al Columbato eine erstaunlich vielschichtige Performance ab: grob, impulsiv, aber zutiefst loyal und selbst erschüttert von den Erlebnissen im Krieg. Für beide Schauspieler war "Birdy" ein früher, aber prägender Karrieremoment – Extrem: Nicolas Cage ließ sich für seine Rolle als Al Columbato tatsächlich zwei Zähne ziehen – und das ohne Betäubung. Er wollte damit die körperlichen Schmerzen und das Trauma seines im Vietnamkrieg verwundeten Charakters authentisch nachempfinden. Zusätzlich trug Nicolas Cage während der Dreharbeiten fünf Wochen lang kontinuierlich Kopfbandagen, selbst im Schlaf, um das Gefühl gesellschaftlicher Ausgrenzung und die Isolation von Kriegsveteranen besser zu verstehen.
Alan Parker, der zuvor mit "Fame" und "Pink Floyd – The Wall" Erfolge feierte, adaptiert den Roman von William Wharton mit viel Mut zur Reduktion und visuellem Feingefühl. Die Flashbacks zeigen nicht nur eine schwierige Jugend in einem verarmten Umfeld, sondern auch, wie sich Birdys Sehnsucht nach Entgrenzung langsam in ein psychisches Trauma verwandelt.
Dass Alan Parker ausgerechnet Peter Gabriel mit der Musik beauftragte, war eine glückliche Fügung – und ein Wagnis. Peter Gabriel war bis dahin nicht als Filmkomponist bekannt, sondern als Ex-Genesis-Frontmann und kreativer Solokünstler mit Hang zur Experimentierlust. Nach dem Ausstieg bei Genesis 1975 veröffentlichte Peter Gabriel vier Soloalben. Seine Musik war zunehmend geprägt von Weltmusik, analogen Synthesizern, elektronischen Soundcollagen und politischen Themen.
Der Song "Biko" erschien 1980 auf Peter Gabriels drittem Soloalbum und markiert einen Wendepunkt in seinem künstlerischen Schaffen. Mit dem Lied setzte Peter Gabriel dem südafrikanischen Anti-Apartheid-Aktivisten Steve Biko ein musikalisches Denkmal, der 1977 in Polizeigewahrsam zu Tode kam. Der reduzierte, klagende Track mit afrikanisch geprägten Chören machte Peter Gabriels Haltung deutlich: Er war nicht länger nur Musiker, sondern wollte politische Verantwortung übernehmen. Zwar erreichte "Biko" in Großbritannien lediglich Platz 38 der Charts und blieb in den USA weitgehend unbeachtet, doch sein kultureller Nachhall war immens. Der Song wurde zum Symbol für die internationale Solidarität mit der Anti-Apartheid-Bewegung und begleitete Peter Gabriels Engagement bei Amnesty International. Damit war "Biko" weniger ein kommerzieller Hit als vielmehr ein musikalisches Manifest – und der Beginn eines neuen Kapitels in Peter Gabriels Karriere.
Schon damals experimentierte er mit Atmosphäre, Klanglandschaften und rhythmischen Schichtungen – all das mündete direkt in den Birdy-Score. Peter Gabriel war persönlich stark vom Film bewegt. Als er eine frühe Schnittfassung sah, war er sofort überzeugt: "Birdy war eine Geschichte über den Kampf der Seele."
Für den Film komponierte Peter Gabriel nicht vollständig neu, sondern nutzte vorhandenes Material: Fünf der zwölf Tracks basieren auf früherer Musik. Alles wurde neu arrangiert, rein instrumental und in einem Zeitraum von nur sechs Wochen aufgenommen – zusammen mit Produzent Daniel Lanois, der später auch Gabriels Erfolgsalbum "So" (1986) produzierte. Tracks wie das geniale "Birdy’s Flight" (basierend auf "Not One of Us") oder "The Heat" (aus "The Rhythm of the Heat") erzeugen eine bedrückende, flirrende Stimmung. Andere wie "Dressing the Wound" oder "Sketchpad with Trumpet and Voice" sind experimentelle Ambient-Stücke. Es ist ein Album, das – wie der Film – auf Sprache verzichtet und dennoch alles sagt: Verletzlichkeit, Isolation, Hoffnung.
Der "Birdy"-Soundtrack war für Peter Gabriel ein Wendepunkt: Er veränderte seine Musikproduktion grundlegend. Schon "So" (1986) war ein Produkt dieser neuen Soundästhetik – kommerziell erfolgreich, aber getragen von neuen Ideen. Es folgte "Passion" (1989), der Soundtrack zu The Last Temptation of Christ – ein Meilenstein in Sachen Weltmusik. Und noch eine Schaufel schwerer als "Birdy". Übrigens hat Peter Gabriel unlängst das Album "i/o" veröffentlicht. Ein reifes Alterswerk, mit neuen Perspektiven auf Zeit, Identität und Spiritualität. Auch 2025, im Alter von 75 Jahren, arbeitet er bereits an einem neuen Album.
Vier Jahrzehnte nach dem Cannes-Triumph wirkt "Birdy" noch immer wie ein stilles Meisterwerk. Dass der Film so tief berührt, liegt auch – oder vor allem – an der Musik von Peter Gabriel. Seine Soundlandschaften gaben der Geschichte von Birdy und Al eine zweite Erzählebene: seelisch, verletzlich, schwebend. Für Fans von anspruchsvoller 80er-Musik ist das Birdy-Soundtrack-Album bis heute eine unterschätzte Perle.
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